> Interview mit Vater


Nach der Abschiebung ist Familie Kpakou aus Cölbe auf drei Kontinente verstreut

Er sitzt in der kleinen Einzimmerwohnung in Cölbe auf seinem Bett, knetet die Finger und ringt um Worte: Kokou Kpakou, genannt Christopher, hat sichtlich Mühe, über seine familiäre Situation zu sprechen. Er sollte am 18. September 2006 zusammen mit seiner Frau Rejoyce, seinen acht Kindern und dem Enkelkind in sein Heimatland Togo ausgewiesen werden. Die Familie lebt seither in Afrika, er blieb in Deutschland, weil er nicht transportfähig war.


Cölbe.
Die Kpakous sind mit Sicherheit die bekanntesten Menschen, die je in Cölbe gelebt haben. Das "Zeitmagazin" widmete der ersten europäischen Sammelabschiebung unter deutscher Federführung, dem Flug FHE 6842, der auch Belinda, Joyce, Rebecca, Celestine, Kokou und Richy Kpakou nach Togo transportierte, einen ausführlichen Beitrag.
Das ZDF drehte eine Dokumentation über die Familie.
Titel: "Die Weggeworfenen - Geschichte einer Abschiebung".
In Marburg gingen Freunde und Mitschüler der Kpakou-Kinder auf die Straße und forderten ein Bleiberecht, Parteien und Parlamente aus Marburg und Cölbe appellierten an das Regierungspräsidium Gießen und das Land Hessen, den Kpakous Asyl zu gewähren - alles vergeblich.


Christopher Kpakous Leben spielt sich seither zwischen Krankenhaus und seiner kleinen Wohnung in Cölbe ab. Er ist zuckerkrank, sein Blutdruck steigt immer wieder mal bedrohlich an, so wie am Tag, als er abgeschoben werden sollte. Da weigerte sich der Pilot, den heute Endfünfziger mitzunehmen. Wenn er leben will, muss er in Deutschland bleiben, denn - so hat der Arzt ihm deutlich gemacht - er braucht ständig Mittel fürs Herz, für seinen Blutdruck und zur Einstellung der Blutzuckerwerte. Die Medikamente gibt es aber in seinem Heimatland nicht, und wohl auch nicht im benachbarten Ghana, wo seine Frau inzwischen mit den drei Jungen Kokou, Richie und Panajotis sowie der ältesten Tochter Gertrud und deren Kind lebt. Belinda, jetzt 21, hat in Nigeria einen US-Amerikaner geheiratet und ist inzwischen Mutter einer Tochter, so berichtet Tina Amlung, die von September 2009 bis Februar 2010 ein Praxissemester "soziale Arbeit" in Lomé verbracht hat. Sie war mit Celestine, heute 22, in der Grundschule in Cölbe, hat den Kontakt seither nie abreißen lassen, auch nicht nach der zwangsweisen Abschiebung.



Das (Über)Leben in Afrika mussten die Kinder erst erlernen

"Ich war oft zu Gast bei den Kpakous in Cölbe, jeder war dort jederzeit willkommen", erzählt sie. So war es auch, als Christina nachts in Lomé ankam. Rebecca und Celestine hatten sie vom Flughafen abgeholt. "Mein erster Eindruck war der Gestank vom Müll, der überall verbrannt wird", erinnert sich Amlung. Und sie erinnert sich an den chaotischen Haushalt der Kpakou-Schwestern Rebecca (24), Celestine (22) und Joyce (25) . "Es gibt nur einen Tisch, wo alles draufgelegt wird, ein Kleiderschrank fehlt, Kleidung wird in Tüten aufbewahrt und geschlafen wird auf Tüchern", berichtet die Cölberin. Die drei jungen Frauen, die sich ihr Geld mit Schneidern verdienen, geben sich alle Mühe, sich zu integrieren. Sie haben gelernt, sich in der für sie fremden Welt zurechtzufinden: Das Wasser kommt nicht aus dem Hahn, sondern muss von einer Wasserstelle geholt werden, der Herd ist eine winzige Kochstelle, die mit Holz befeuert wird.


Schwierigkeiten haben alle drei immer noch mit der in Togo üblichen Sammelsprache "Ewe", und auch mit dem Französischen hapert es noch. Weil das so ist, haben sie auch wenig berufliche Möglichkeiten. "Da bleiben nur Friseur, Schneider und Kraftfahrzeug-Mechaniker", berichtet Amlung.

Während die Mädchen sich für eine Ausbildung zur Schneiderin entschieden haben, lernt Kokou (23), der bei seiner Mutter in Accra/Ghana wohnt, Kraftfahrzeug-Mechaniker.

Bei der Mutter lebt auch Richy, für den in Marburg die Mitschüler aus der Friedrich-Ebert-Schule demonstriert haben. Er besucht ein Gymnasium und hat sich fest vorgenommen, in Deutschland zu studieren, sagt Amlung. Der kleine Panajotis, bei der Abschiebung gerade sechs, besucht die Grundschule. Ebenfalls in Accra ist die älteste Tochter Gertrud mit ihrer Tochter Naomi. Mutter Rejoyce Akou-de Souza versucht, den Lebensunterhalt mit ihrem kleinen Laden zu verdienen, verkauft Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs.


"Die Familie hat es relativ gut, weil sie Unterstützung aus Deutschland erhält. Das lässt aber auch inzwischen nach", berichtet Amlung. So planen Rebecca, Joyce und Celestine, Kleidung für den deutschen Markt herzustellen. Die modischen Kleider, Röcke und Blusen aus afrikanischen Stoffen wollen sie über das Internet vermarkten.

Für die Ausbildung müssen die Kinder übrigens bezahlen. Das Geld kommt vom Kontaktkreis aus dem Landkreis Marburg-Biedenkopf. Ohne den, da ist sich Vater Christopher sicher, wäre die Familie verloren. Dankbar ist er für die Hilfe, sagt er, sieht aber gleichzeitig unglücklich aus, weil er selbst für seine Frau und die Kinder nichts tun kann.

Ja, er vermisst seine Familie, bekennt er und lächelt verlegen. Er telefoniert viel mit seiner Frau, weiß, wie die Töchter in Lomé leben, was die Söhne machen und dass sie alle ihn vermissen.

Ob er hofft, sie jemals wiederzusehen? "Nur Gott weiß, ob die Situation sich jemals ändert", sagt er und spielt auf seine labile Gesundheit an. Die Herzattacken kommen plötzlich, sein Leben hängt davon ab, ob er schnelle Hilfe und die richtigen Medikamente bekommt. "Wenn ich in Afrika bin, werde ich sterben", ist er sich sicher. Er sagt aber auch: "Wir werden zusammenkommen, eines Tages. Ich habe Hoffnung. Gott ist größer!"




Dokumenten Information
Copyright © mittelhessen.de 2010
Dokument erstellt am 29.09.2010 um 18:17:27 Uhr
Letzte Änderung am 29.09.2010 um 19:37:21 Uhr
Quelle: http://www.mittelhessen.de

29.09.2010, 18:13 Uhr
Von Karin Dobrowohl

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