> Interview mit Ami

Foto: ZDF, Lutz Ackermann - Interview: Marie Schmidt
Nachdem sie dreizehn Jahre lang im hessischen Cölbe gelebt hatte, wurde im September 2006 die elfköpfige Familie Kpakou aus Togo unter dramatischen Umständen abgeschoben. Dabei wurden die Kinder von ihrem Vater getrennt, der zu krank war, um fliegen zu können. Während die Mutter mit den noch schulpflichtigen Kindern ins englischsprachige Ghana zog, versuchten die älteren Töchter in Lomé in Togo Fuß zu fassen, einem Land, das ihnen fremd war, weil sie in Deutschland aufgewachsen und zur Schule gegangen waren. Zunächst sprachen sie weder Französisch noch die Stammessprache Ewe.


Eine Reportage von Anita Blasberg und Marian Blasberg im ZEITmagazin und ein Dokumentarfilm von denselben Autoren und Lutz Ackermann, der im Dezember 2008 im ZDF lief, berichteten über die Lebensbedingungen der Familie in Deutschland und Afrika. In Cölbe bildete sich ein Kreis aus Nachbarn und Freunden, der die Familie unterstützt. Unter www.familie-kpakou.net informieren sie über ihre Arbeit und das Schicksal der Familie.

Marie Schmidt hat mit Ami Kpakou telefoniert, um zu erfahren, wie es den jungen Frauen in Lomé drei Jahre nach ihrer Abschiebung geht.

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Wie geht es Ihnen im Moment? Was machen Sie?
Momentan machen wir eine Ausbildung zur Schneiderin. Das dauert drei Jahre und ich habe schon zwei Jahre hinter mir. Das ist mein Alltag. Ich bin von morgens um sieben bis abends um acht auf der Arbeit. Und wir verdienen nichts, wir bezahlen sogar für die Ausbildung. Sie versuchen auch mit einer Nähmaschine zu Hause zu nähen und Kleider zu verkaufen.

Funktioniert das mittlerweile?
Das Problem ist: Wir haben keine Kunden. Wir kommen mit den Leuten nicht richtig klar. Mit dem Französischen kommen wir auch noch nicht zurecht, deswegen wissen wir nicht, wie wir die Kunden ansprechen sollen. Wir haben eine ganz andere Einstellung als die und wenn wir etwas sagen, sagen sie: Wo kommt ihr denn her, was für eine Einstellung habt ihr denn?

Um was für eine Art von Einstellung geht es da?
Zum Beispiel auf der Arbeit. Wenn unsere Chefin uns zeigen soll wie etwas funktioniert. Wenn sie es weiß, wird sie es den anderen gar nicht zeigen. Sie wird denken, dass ich es dann besser könnte, als sie. Die haben keine richtige Teamarbeit, das fehlt hier.

Kann man sich an das Leben in Togo gewöhnen?
Gewöhnen? Gar nicht. Wir wissen, wir müssen jetzt hier sein und müssen das Beste draus machen. Ich will mich aber gar nicht daran gewöhnen, ich will nicht hier leben, das ist einfach nicht meine Art zu leben.

Wenn Sie sagen, das ist nicht Ihre Art zu leben:
Was kommt Ihnen denn besonders fremd vor?

Dass du hier nur die Arbeit hast. Du hast keine eigene Meinung, du musst immer nur dem folgen, das sie gerade sagen. Und umso mehr die Leute von dir wissen, um so mehr wirst du verletzt.

Was bedeutet das?
Anfangs haben wir bei unserem Großonkel gewohnt. Dort wussten die Leute, dass wir abgeschoben wurden. Die haben uns hinterher geschrien: "Guck mal, die Abgeschobenen. Die waren in Deutschland und haben nichts mitgebracht." Das nimmt einen schon mit. Die denken, aus Deutschland müsstest du mit Millionen zurückkommen. Und damit sind wir halt nicht zurückgekommen. Und wir haben eine Familie, aber doch keine Familie. Die eine Hälfte ist in Ghana, die andere Hälfte ist in Togo und mein Vater ist drüben in Deutschland. Momentan sind nur wir drei hier. Es kommt keiner zu uns und fragt uns, wie es uns geht.

Wissen Sie denn, wie es Ihren Eltern geht?

Mein Vater ist momentan sehr krank und meine Mutter leidet sehr darunter. Es wäre sehr wichtig, dass irgendwas getan würde, damit sie ihn zu sehen bekommt. Denn sie ist psychisch total am Ende, total labil. Das ist die liebste Mutter die ich kenne und die hat die Lust am Leben verloren. Ja, ich hätte gern meine Mutter wieder.

Es ist in Togo ziemlich schwierig als Frau alleine zu leben, oder?
Ja. Die Einstellung hier ist: Die machen eine Ausbildung und dann wird geheiratet. Und dann Kinder, und dann wars das. So möchte ich aber nicht leben. Ich möchte eine Ausbildung machen, ich möchte etwas von der Welt erfahren. Ich möchte Reisen, ich möchte Erfahrungen sammeln, ich möchte leben.

Was würden sie tun, wenn Sie alle Wünsche offen hätten?
Wenn ich jetzt Wünsche offen hätte: Ich fände es schade, die Ausbildung platzen zu lassen, ich würde sie gerne zu Ende machen. Und dann würde ich mich in Deutschland oder in einem europäischen Land aufhalten, mich dort mit dem Schneidern beschäftigen und europäische Schnitte lernen, andere Moden, andere Stile kennen lernen.

Als was arbeitet man denn normalerweise in Togo, wenn man diese Ausbildung fertig hat?
Hier ist fast jedes Mädchen Schneider. Entweder bist du Schneider oder du bist Friseuse. Die machen dann ein Atelier auf. Und es gibt haufenweise davon. Du bist glücklich wenn du mal zwei, drei Kunden hast, für die du regelmäßig schneidern kannst. Es sind einfach zu viele!

Habt Ihr Pläne, so für die nächsten zwei Jahre?
Wir würden gerne eine Webseite aufmachen und Fotos von den Klamotten, die wir geschneidert haben auf die Webseite stellen. Und wenn sich Kunden aus Europa dafür interessieren, könnten wir es schneidern und es schicken. Auf so was hätte ich viel mehr Lust. Die Verbindungen sind zwar sehr schlecht hier. Aber vielleicht könnte das irgendjemand aus Deutschland, der sich damit auskennt und uns unterstützen möchte, für uns machen.

Gibt es denn etwas in Afrika, das gut ist, das man genießen kann oder das einen vielleicht tröstet?
Das ist die Kirche. Die Kirche gibt einem Hoffnung. Das verpassen wir eigentlich nie. Ich glaube, das ist auch das, was uns momentan zusammenhält. Das baut auch eine innere Stärke auf.

Seid Ihr sauer auf  Deutschland?
Nicht sauer, nur enttäuscht, dass wir so lange dort gelebt haben und Pläne hatten, und dass das von einer Sekunde auf die nächste einfach zerplatzt ist. Ich habe deutsch gelebt, ich bin zur Schule gegangen. Zurück nach Afrika – das war für mich so unrealistisch, ich wollte das gar nicht wahrhaben. Du bist gezwungen Afrikaner zu sein und afrikanisch zu leben. Aber mein Herz ist nicht hier, meine Gedanken sind nicht hier. Es ist ja nicht so, dass wir nicht versuchen hier zu leben. Wir geben uns schon Mühe hier zu leben, aber es funktioniert nicht. Das einzige worüber wir dann immer zusammen lachen ist, wenn wir an alte Zeiten denken.

Und in den letzten Jahren hat sich daran nichts geändert?
Hier bewegt sich nichts. Nach den drei Jahren ist immer noch alles beim Alten. In Deutschland bewegt sich was, ist Bewegung im Leben und hier ist nach drei Jahren immer noch alles dasselbe.

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